Zeit-schrift

 

Die Raumschiffe kreisten in seinem Kopf und weigerten sich, sich über seine Hände im PC zu manifestieren.

Schweißtropfen liefen über seine Stirn; kein Wunder an diesem heißen Tag im August und bei dem Stress. Viel lieber wäre er jetzt mit seiner Frau und seinem kleinen Sohn zusammen in Schwimmbad, aber so musste er die beiden alleine gehen lassen. Unerbittlich wartete der Cursor auf seine Eingabe, doch die Eingebung kam nicht. Ich brauche mehr Sauerstoff, dachte er. Doch auch das offene Fenster seines Arbeitszimmers konnte nichts daran ändern, denn die Luft stand und konnte seine Gehirnzellen nicht zu großer Bewegung motivieren. Sein Blick ging nach links. Dort lag es, das verfluchte Exposé mit seinen Raumschiffen und Zeitreisen, geschrieben von Autorenteamchef Jörg Beermann. Seine Hand griff nach rechts. Dort stand der Energydrink, mit ein wenig Wodka im Geschmack verfeinert. Gerade wollte er einen kräftigen Schluck nehmen, da kündigte sein Handy mit der Melodie aus Starwars einen Anrufer an, den das Display sofort identifizierte.

Hallo Jörg“, meldete er sich.

Hallo Frank,“ erwiderte Beermann. „Wie kommst du voran?“

Gute Frage, eigentlich kam er seit ein paar Wochen überhaupt nicht mehr weiter.

Du weißt schon, dass ich dein Manuskript bis morgen auf dem Tisch haben muss?“

Ich schaff das, nur keine Panik.“

Das hast du vor zwei Wochen auch gesagt und dann musste ich den Termin doch noch verschieben. Wenn du morgen nicht lieferst, muss ich den Auftrag an Mark vergeben und du fliegst aus dem Team.“

Die Schweißperlen auf Franks Stirn wurden immer größer und suchten sich ihren Weg zu seinen Augen. Mit einer schnellen Handbewegung wischte er sie weg.

Aber von Mark wirst du nicht die Qualität geliefert bekommen wie von mir.“

Das weiß ich auch. Aber er schreibt mir in zwei Wochen einen kompletten Roman. Ich muss dich wohl nicht daran erinnern, dass wir eine SF-Romanserie schreiben, die wöchentlich erscheint und die Abgabetermine eingehalten werden müssen.“

Ich hab dir auf der Autorenkonferenz gleich gesagt das mir Geschichten mit Zeitreisen nicht liegen. Aber du mustest mir ja die schwierigsten Romanvorlagen mit den verrücktesten Zeitreisen der Literaturgeschichte schicken.“

Das sind doch alles nur Ausreden, Frank. Du hast jetzt gerade mal zwei Romane für die Serie fertiggestellt und es gab immer Verzögerungen, egal um welches Thema es sich handelte.“

Resignierend musste er sich eingestehen, dass Jörg recht hatte. Es war eine Sache seinen eigenen erfolgreichen Science-Fiction Roman innerhalb von sechs Jahren zu schreiben, und eine andere einen Heftroman pro Monat fertigzustellen.

Ich werde es schon hinkriegen. Du bekommst morgen dein Manuskript“, versprach er seinem Gesprächspartner. Doch davon überzeugt war er eigentlich selbst nicht.

OK. Dann noch viel Spaß beim Schreiben.“

Kurzerhand hatte Beermann aufgelegt.

Kühl rann der Energy-Wodka Mix seine Kehle runter. Der neue Autor Frank Uhland, gescheitert an einem Groschenroman.

Seine Hand griff nach dem Buch, das auf seinem Schreibtisch als Motivationsbeschleuniger lag. Sein Buch; das ihm den Einstieg als Berufsschriftsteller ermöglicht hatte. Ein Erfolg innerhalb der SF-Szene, ausgezeichnet mit vielen Preisen. Dann kam damals der Anruf, ob er nicht Lust hätte an der Serie mitzuschreiben. Natürlich hatte er das. Nach sechs Jahren intensiver Arbeit an seinem Roman, dieser Erfolg und die Möglichkeit mit dem Schreiben endlich Geld zu verdienen. Hätte er damals gewusst, was auf ihn zukam, hätte er lieber weiter seine eigenen Romane geschrieben.

Er legte das Buch wieder zurück auf seinen Platz auf dem Schreibtisch und ging in die Küche um sich einen neuen Drink zu machen, diesmal mit viel mehr Wodka.

*

Seine Frau und sein Sohn lagen schon lange im Bett, und er saß immer noch an diesem verdammten Schreibtisch. Hunderte von Buchstaben, zusammengesetzt zu Worten, aneinandergereiht zu Sätzen und dann doch wieder gelöscht. Warum hatte er nicht weiterstudiert, wie seine Frau? Er musste ja unbedingt seinen Roman schreiben und dann das Angebot als Serienschriftsteller annehmen. Sicher, das Geld aus dem Erbe hatte gereicht, um ihm und seiner Frau sechs Jahre lang ein unabhängiges Leben zu bescheren, doch jetzt war alles aufgebraucht.

Die Zeichen auf dem Monitor verschwammen zu unkenntlichen Farbklecksen. Frank kniff die Augen zusammen; der verfluchte Wodka.

Plötzlich nahm er aus den Augenwinkeln eine schemenhafte Gestalt wahr. Ein älterer Mann, geisterhaft durchscheinend, in einem silbernen Anzug stand in seinem Arbeitszimmer.

Hallo Frank“, sagte die nächtliche Erscheinung.

Wie kommen sie hier rein? Was wollen sie von mir?“

Frank merkte, wie die Worte nur schwer über seine Lippen kamen. War der Mann nur ein Phantasieprodukt seines wodkatrunken Hirns?

Hab keine Angst, ich werde dir bestimmt nichts tun“, antwortete der Alte, wobei er mal mehr und mal weniger durchscheinend wurde. „Ich will dir nur etwas geben, dass deine und meine Zukunft beeinflussen kann.“

Wie meinst du das?“

Die ganze Situation wurde immer merkwürdiger.

Das werde ich dir gleich erklären.“

Der Alte schritt vor zu seinem Schreibtisch. Erst jetzt bemerkte Frank die Blätter unter dessen Arm. Sorgfältig legte er den Stapel neben das Buch. Der Alte ging ein paar Schritte zurück und die Blätter, eben noch durchscheinend, wurden fest.

Was soll das?“, fragte Frank den seltsamen Mann, doch im selben Augenblick fraß sein Blick sich am Deckblatt der Blattsammlung fest und er erstarrte.

Die Zeitinsel“ von Frank Uhland, stand dort in großen Buchstaben.

Nervös streckte er seine Hand nach dem Papier aus. Normales Papier, wie er es auch für seine Ausdrucke verwendete.

Mit zittrigen Fingern blätterte er um.

Ja, das war haargenau sein Manuskript; Wort für Wort.

Schnell schlug er die Seite 46 auf. An der Stelle hörte die Geschichte in seinem PC auf, doch hier ging es munter weiter bis zum „Fortsetzung folgt nächste Woche.“

Das gibt es doch nicht. Wer bist du?“, fragte er den durchsichtigen Alten, der immer noch in einiger Entfernung vom Schreibtisch stand und sich die Familienfotos auf dem Regal ansah.

Wie alt war ich da?“, fragte er statt einer Antwort. Sein Blick war auf das Foto, das Frank mit seinem Sohn auf dem Arm zeigte, gerichtet.

Unbehagen und Ungläubigkeit machten sich in Frank breit. Sein Körper verlangte nach noch mehr Wodka, um die Situation zu verarbeiten.

Ja, so unglaublich es auch klingt, ich bin dein Sohn und komme aus der Zukunft“, sagte der Alte.

Natürlich, war ja klar. Sein alkoholisiertes Gehirn spielte ihm einen Streich. Es verknüpfte Wunschdenken mit seiner verrückt spielenden Phantasie.

Egal.

Frank war gespannt auf weitere Erklärungen und ließ den Alten weiterreden.

Am besten ich erzähle dir die Geschichte aus meiner Perspektive“, begann der nächtliche Besucher. „Nachdem du aus dem Autorenteam geschmissen wurdest, hast du nie wieder mit dem Schreiben angefangen und einen ungeliebten Job in der Fabrik angenommen. Später trennte sich Mutter von dir, da ihr deine Alkoholprobleme und deine Aggressivität zu viel wurden. Ich war gerade einmal fünfzehn Jahre alt, da starbst du bei einem Arbeitsunfall in der Fabrik. Man sagte mir später du standest unter Alkoholeinfluss. Für mich warst du aber immer ein Held, der tolle Geschichten erzählen konnte und mich dazu inspirierte den Bereich der Zeitforschung einzuschlagen und jetzt stehe ich hier und möchte dir dein Leben als Schriftsteller zurückgeben.“

Na toll, dachte sich Frank, mein Sohn reist durch die Zeit, um mir mein fertiges Manuskript zu geben, so was kann auch nur mir einfallen.

Wo hast du das Manuskript denn her?“, fragte er seinen alten Sohn, der wahrscheinlich nichts anderes war als ein Hirngespinst.

Als ich das Haus hier erbte, fand ich es auf dem Dachboden in einer alten Truhe, bis zum Ende fertig geschrieben. Ich vermute du wirst das Werk später vollenden und es dort hinein legen. Nun bekommst du es aber rechtzeitig zum Abgabetermin“, antwortete der Alte, fing mit einem Mal an zu flackern, wurde immer durchsichtiger und verschwand.

Das fertige Manuskript lag aber immer noch da.

Langsam erhob sich Frank von seinem Stuhl und klemmte es sich unter den Arm. Seine schwankenden Schritte führten ihn auf den Dachboden zu der alten Truhe.

*

Der nächste Morgen war furchtbar. Sein Schädel drohte zu zerplatzen und sich in tausend Einzelteile zu zerlegen. Er drehte den Kopf zur Seite, doch die Stelle seiner Frau im Bett war leer und die Anzeige des Weckers stand gnadenlos auf 11.34 Uhr. Natürlich, sie war längst aus dem Haus und der Kleine im Kindergarten. Die Geschehnisse von gestern Abend drängten sich in seine Gedanken.

Was, wenn das wirklich sein zeitreisender Sohn war, der sein Leben verändern wollte und nicht nur seine eigene alkoholische Phantasie im etwas vorgaukelte?

Dunkel erinnerte er sich an die Truhe auf dem Dachboden.

Hier wird der Sohn angeblich das fertige Manuskript finden, und hier hatte er es auch gestern Nacht im Vollrausch hineingelegt. Aber wenn der Sohn es gefunden hat und er es nur hineingelegt hat, wer hat es dann fertig geschrieben?

Franks Gedanken schlugen merkwürdige Kapriolen.

Existierte das fertige Manuskript, so würde er es abtippen und Beermann per Mail schicken können. Doch dann hätte sein Sohn ja keinen Grund mehr ihn aus der Zukunft zu besuchen.

Frank lachte bei dem Gedanken laut auf. So etwas nannte man Zeitparadoxon und damit müsste er sich als SF-Schriftsteller eigentlich auskennen.

Mit einem Schlag war er hellwach.

Es gab nur eine Möglichkeit herauszufinden, ob die Sache von gestern Abend wirklich stattgefunden hatte.

Nur mit der Unterhose bekleidet ging er die Stufen hoch.

Dort stand sie, die Truhe.

War sie leer, hatte sich sowieso alles erledigt.

Befand sich in ihr allerdings das Manuskript, konnte es viele Leben verändern. Hatte er dazu das Recht?

Frank Uhland öffnete die Truhe und ein Lächeln ging über sein Gesicht.

 

ENDE