Kapitel 1

 

 

 

Trocken.

 

Trocken und dunkel.

 

Während er versuchte, die Gedanken, die bruchstückhaft durch seinen Kopf zogen, zu sortieren, öffnete er millimeterweise die Augen. Seine Zunge befeuchtete die trockenen Lippen.

 

Gedimmtes Licht ließ ihn eine weiße Fläche erkennen. Er wollte die Hand danach ausstrecken, doch sein Arm bewegte sich nicht.

 

Hatte er überhaupt noch einen Körper?

 

Unsinn.

 

Er spürte seine Zunge, seine Lippen; aber was war mit dem Rest?

 

Erneut versuchte er den Arm zu heben, diesmal mit größerer Kraftanstrengung. Eine zitternde Hand erreichte sein Blickfeld.

 

Er wusste, dass es seine Hand war und doch kam sie ihm fremd vor. Geschwollen, blau verfärbt mit etlichen Schrammen.

 

Der Schreck blies ihm die Kraft aus dem Arm. Die Hand verschwand wieder und wurde sanft abgefangen.

 

Langsam realisierte er, dass sein Körper, den er wieder zu spüren begann, auf etwas Weichem lag. Die weiße Fläche ihm gegenüber war keine Wand, sondern die Decke.

 

Wo zum Teufel bin ich?

 

Fehlende Erinnerungen waren nichts Neues für ihn, aber im Gegensatz zu früheren Aussetzern, konnte er sich nicht an die vorangegangene Party erinnern. Außerdem passte die verschrammte Hand nicht dazu.

 

Er schloss wieder die Augen. Atmete tief ein und aus, versuchte sich zu konzentrieren. Nein, ein Kater vom Alkohol fühlte sich anders an.

 

Erst jetzt bemerkte er den Piepton, der die ganze Zeit über den Raum erfüllte, den er aber nur unterbewusst registriert hatte.

 

Diesmal riss er die Augen mit einem Ruck auf, blinzelte dem Licht der Deckenleuchte entgegen. Es strengte ihn an, den Kopf zur Seite zu drehen, doch er musste Gewissheit haben.

 

Dann erkannte er die Quelle des Pieptons, der jetzt in kürzeren Abständen ertönte.

 

Auf einem Ständer war ein Kasten angebracht, der verschiedene Diagramme zeigte.

 

Der nächste bewusste Atemzug bestätigte endgültig seine Vermutung.

 

So rochen nur Krankenhäuser.

 

* * *

 

Als hätte er seine Gedanken in die Welt geschrien, öffnete sich die Tür.

 

»Guten Morgen Mr.Wayne. Wie geht es Ihnen?«

 

Wayne, Taylor Wayne, das war sein Name. Zumindest der Name, unter dem ihn die meisten Menschen kannten.

 

Eine dunkelblonde Krankenschwester trat an sein Bett und sah auf die Anzeigen des Überwachungsmonitors. »Frohe Weihnachten übrigens«, sagte sie beiläufig, während sie sich Notizen auf ihrem Klemmbrett machte.

 

Das Piepen der Pulsüberwachung wurde wieder schneller.

 

Weihnachten? Was zum Henker war passiert?

 

Sein Blick ging zu der großen Digitaluhr über der Tür, die in leuchtend roten Ziffern das Datum und die Zeit anzeigte.

 

25.12.2015, 11.11 Uhr. Heute war tatsächlich der erste Weihnachtstag.

 

»Was ...?«, Taylors Stimme versagte. Er schluckte hart, wollte erneut reden, brachte aber keinen Ton heraus.

 

»Warten sie einen Moment«, reagierte die Schwester auf seinen Sprechversuch und steuert wieder auf die Tür zu. »Ich hole den Doktor«.

 

Das Piepen ging ihm auf die Nerven. Würde er sich nicht so schwach fühlen, hätte er die Kabel, die mit Elektroden an seinem Körper befestigt waren, längst abgerissen. Das Gefühl des Ausgeliefertseins war ihm schon immer verhasst.

 

Er fing an seinen Körper zu spüren; hob den Kopf, um ihn auch wieder sehen zu können.

 

Irritiert starrte er auf die rechte Seite des Bettes. Sein Bein lag auf einem Gestell, eingegipst.

 

Eine Hitzewelle durchflutete ihn. Hatte er sonst noch größere Verletzungen?

 

Das linke Bein lässt sich heben, die Arme lassen sich auch bewegen, stellte er mit Erleichterung fest. Zwar konnte er durch den Pyjama seine Haut nicht sehen, aber er vermutete, dass seine Arme und Beine die gleichen Schrammen und blauen Flecken aufwiesen wie seine Hände, mit denen er jetzt sein Gesicht betastete.

 

Jede Berührung brannte wie Feuer. Er fühlte die Unebenheiten auf seiner sonst so glatten Haut.

 

In diesem Moment öffnete sich die Tür.

 

Ein Mann mit wehendem weißen Ärztekittel betrat das Krankenzimmer, gefolgt von der dunkelblonden Schwester. Das Namensschild wies ihn als Doctor Zackary Palm aus.

 

»Frohe Weihnachten und herzlich willkommen bei den Lebenden, Mr.Wayne«, lächelte er Taylor an.

 

»Was ..., was soll das?«, stammelte Taylor und schlug mit der Hand auf sein rechtes Bein.

 

»Das frage ich sie. Was ist mit ihnen passiert?«, erwiderte Dr.Palm statt einer Antwort. »Sie wurden in einem fürchterlichen Zustand zu uns gebracht.«

 

»Ich ... ich ... weiß nicht.« Taylor schloss die Augen. Die Situation erschreckte und ermüdete ihn gleichzeitig.

 

»Was genau mit ihnen geschehen ist, können wir auch nicht sagen. Könnte ein Unfall oder ein Überfall gewesen sein. Sie können froh sein, dass sie keine inneren Verletzungen haben.«

 

Taylor hielt die Augen geschlossen und wartete auf weitere Erklärungen, doch die Stimme des Doktors blieb stumm.

 

Wenn er in diesem Augenblick im Vollbesitz seiner Kräfte gewesen wäre, dann hätte er den Kerl in seinem blitzblanken Kittel angeschrien, er solle ihm endlich den Zustand seines Beines zu erklären. So aber konnte er nur die Augen öffnen und krächzend »Bein«, stammeln.

 

»Oh. Ich dachte sie wären wieder eingeschlafen.« Dr. Plam richtete die Aufmerksamkeit von den Überwachungsmonitoren zurück auf seinen Patienten. »Ihr Bein ist gebrochen. Sie werden die nächsten sechs Wochen wohl mit diesem Gips vorlieb nehmen müssen.«

 

Taylor starrte ihn an.

 

Der Doktor, mit seinem Oberlippen- und Kinnbart, der ihn an Dr.Strange erinnerte, lächelte. »Sie brauchen Ruhe. Danach schauen wir weiter. Mit der Schauspielerei müssen sie wohl eine Pause einlegen.«

 

Taylor war zu schwach zum Protestieren. Auch wenn seine Erinnerungen verschwommen waren, an das Rollenangebot von Sony Pictures konnte er sich noch lebhaft erinnern. Jetzt würde ein Anderer die Hauptrolle spielen. Das Angebot war vor einer Woche abgelaufen.

 

Seine Gedanken wirbelten durcheinander, wurden immer schwächer. Dr.Strange hatte recht, er sehnte sich nach Ruhe und Schlaf.

 

* * *

 

Er ging mitten auf der schneebedeckten Straße. Keine Fahrzeuge, keine Menschen, begegneten ihm, obwohl er diese Straße und ihre Gebäude nur lebensüberschwappend kannte.

 

Doch er machte sich keine Gedanken darum. Im Gegenteil. Die Stille beflügelte ihn, brachte eine Saite in ihm zum Schwingen und er wechselte lachend und singend auf den Gehweg. Unter seinen Schuhen zerstieb der Schnee, machte den Blick auf den roten Stern frei, der dort eingelassen war. »Taylor Wayne«, stand mit goldener Schrift auf dem Stern. In der Mitte eine runde Plakette, die eine stilisierte Filmkamera zeigte.

 

Lachend setzte er seinen Weg fort, bog in eine Seitengasse.

 

Die Wände der Gebäude rückten immer weiter zusammen, verloren ihre Türen und Fenster und präsentierten sich als nackte Mauern.

 

Das Ende der Gasse lag im Nebel, doch dies machte ihn nichts aus. Beschwingt stapfte er weiter und registrierte nebenbei den wieder einsetzenden Schneefall. Er zögerte nicht in den Nebel zu treten, als er ihn erreicht hatte.

 

Doch genau, wie er die Kälte nicht fühlte, merkte er auch nichts von der feuchten Schwere auf seiner Haut, die normalerweise im Nebel zu spüren war.

 

Nach ein paar Schritten hatte er wieder klare Sicht und erblickte wenige Meter vor sich eine Wand. Auf der Wand prangte in roten Lettern ein Graffiti.

 

WO WAR GOTT?

 

Doch das Graffiti war nicht das bemerkenswerteste an dieser Sackgasse.

 

Vor der Wand parkte ein Schlitten mit sechs eingespannten Rentieren. An dem Schlitten stand ein Mann mit weißem Bart, rotem Mantel und roter Nikolausmütze. Das Ganze wirkte wie eine Filmkulisse von Santa Clause mit Tim Allen.

 

»Hi Tim, wieder die alte Rolle?«, sprach er ihn an, merkte aber im gleichen Augenblick, dass dieser Santa kaum Ähnlichkeit mit dem Schauspieler besaß. Der hier sah echter aus.

 

»Hallo Taylor. Ich bin nicht der, für den du mich hältst«, antwortete er mit dunkler Stimme und kam näher.

 

»Hab ich auch schon bemerkt. Bist du der echte Santa?«

 

»Nicht direkt«, bekam er zur Antwort. »Ich bin Gott.«

 

»Natürlich«, erwiderte Taylor ironisch. »Weshalb bist du hier?«

 

»Um dich zu retten«, lautete die Antwort.

 

»Retten? Wovor?«

 

»Vor dir selbst«, lächelte der göttliche Santa Clause.

 

»Na gut. Und wie geht es jetzt weiter?«

 

»Das liegt an dir.«

 

Taylor zog sein Smartphone aus der Hosentasche. »Wenn ich schon ein Treffen mit Gott habe, möchte ich auch ein Selfie mit ihm haben«, bat er ihn. »Sonst wollen immer alle ein Selfie mit mir.«

 

»Wenn das dein Wille ist«, antwortete Gott. »Ich stehe zur Verfügung.«

 

Taylor legte seine linken Arm um ihn, streckte den Rechten mit dem Smartphone aus und drückte den Auslöser.

 

 

* * *

 

Ruckartig schlug er die Augen auf. Sein Puls schoss wieder in die Höhe, was der Überwachungsmonitor mit einem Ansteigen der Piepfrequenz quittierte.

 

Traum, es war nur ein Traum“, versuchte er sich zu beruhigen. „Es gibt keinen Schnee in Hollywood und erst recht keinen Santa Clause oder Gott.“

 

Er hatte Weihnachten schon immer gehasst; und dann wachte er ausgerechnet am ersten Weihnachtsfeiertag in einem Krankenhaus auf, ohne Erinnerungen an die letzten Tage. Als wären seine Verletzungen nicht genug, hatte er jetzt auch noch diesen bescheuerten Traum.

 

Doch im Unterschied zu den Träumen, die er bisher in seinem Leben hatte, hatte sich dieser zutiefst real angefühlt und in sein Gedächtnis eingebrannt.

 

Vielleicht hat mein Kopf auch etwas abbekommen und ich werde verrückt.

 

Er spulte die Erinnerungen an den Traum noch einmal in seinem Kopf ab.

 

WO WAR GOTT“.

 

Diese Frage hatte er sich oft gestellt. Natürlich hatte seine katholische Erziehung Spuren hinterlassen, aber an Gott glauben konnte er nicht mehr. Zuviel war passiert.

 

Ein Lächeln zog an der Stelle über sein Gesicht, als er dachte, Tim Allen stände ihm gegenüber.

 

Und dann erst die Sache mit dem Selfie.

 

Er machte keine Selfies. Wenn er mit anderen berühmten Personen zusammenkam, waren in der Regel genug Fotografen anwesend um den Augenblick festzuhalten.

 

Nun gut. In diesem Traum waren keine Fotografen, was hätte ich also tun sollen?

 

Seine eigenen Gedanken erschreckten ihn. Was zur Hölle war mit ihm los?

 

Blitzartig kam ihm eine neue Eingebung. Was wenn ...?

 

Wo war sein Smartphone?

 

Auch wenn er nicht wusste, was geschehen war, sein Smartphone hatte er immer dabei. So musste es auch vor dem Unfall oder was auch passiert sein mochte, gewesen sein.

 

Er sah sich um, bemerkte den Nachtschrank neben seinem Bett und zog mit einiger Anstrengung die Schublade auf.

 

Dort lag es, zusammen mit seiner Geldbörse und dem Schlüsselbund.

 

Seine Hand zitterte, als er das Smartphone aus der Schublade nahm.

 

Es ließ sich ohne Probleme einschalten, hatte noch 80% Akkuleistung.

 

Okay Gott, zeig dich.

 

Taylor rief die Galerie auf, wählte das letzte Foto.

 

Entsetzt starrte er auf das Display.

 

 

* * *

 

Die Tür ging auf.

 

Die Schwester von vorhin kam in den Raum und erfasste mit einem routinierten Blick die Anzeigen auf dem Monitor. Sein Puls war in die Höhe geschossen.

 

Taylor schaffte es gerade noch das Smartphone auszuschalten, da war sie auch schon da, nahm ihm das Gerät ab und legte es zurück in die Schublade.

 

»Sie brauchen Ruhe, keine Aufregung«, erklärte sie. »Außerdem haben wir ihre Frau schon informiert. Sie brauchen also nicht zu telefonieren.«

 

»Exfrau«, berichtigte er sie mit belegter Stimme.

 

»Entschuldigung, das wusste ich nicht.«

 

»Schon gut«, erwiderte er, zwar etwas kratzig, aber erleichtert darüber, dass seine Stimme einigermaßen funktionierte. »Können sie mir vielleicht etwas mehr Auskunft geben, Schwester ...« Er las ihr Namensschild. »Susan.«

 

»Ich weiß leider auch nicht mehr als Doctor Palm«, lächelte die Frau ihn an.

 

Gewohnheitsmäßig checkte Taylor sie ab. Dunkelblond, schulterlange Haare, schlank, ungefähr in seinem Alter, hübsches Gesicht mit Sommersprossen.

 

»Können sie mir wenigstens sagen, wie ich hier hingekommen bin?«

 

»Sicher. Das war allerdings merkwürdig«, antwortete Susan. Sie machte eine kleine Pause und strich sich eine Haarsträhne aus den Augen. »Der Mann, der sie zu uns gebracht hat, ist direkt darauf verschwunden, ohne seine Personalien hierzulassen.«

 

»Sehr merkwürdig finde ich das allerdings nicht. Vielleicht war er für meinen Zustand verantwortlich.«

 

»Schon. Aber dieser Mann war als Santa Clause verkleidet und niemand hat gesehen, wie er in das Krankenhaus kam und es wieder verließ.«

 

»Bitte?« Taylors riss die Augen auf.

 

»Er stand plötzlich vor dem Notaufnahmeschalter mit ihnen auf den Armen, legte sie auf dem Boden ab und wurde nicht mehr gesehen. So jedenfalls hat es mir Winnie, die Schwester in der Notaufnahme, berichtet.«

 

Santa, immer wieder Santa.

 

»Kann ich mit dieser Winnie sprechen?«

 

»Aber sicher. Sie hat gleich Feierabend und ich könnte sie bitten, bei ihnen vorbei zu schauen.«

 

»Danke. Sehr nett von ihnen.« Das Lächeln schmerzte und erinnerte Taylor an die Wunden in seinem Gesicht.

 

»Ist schon okay«, erwiderte Susan im Hinausgehen und schloss die Tür.

 

Ich muss es nochmal sehen, dachte Taylor, als er zum zweiten Mal die Schublade öffnete.

 

Als er diesmal das Bild aufrief, wusste er, was ihn erwartete. Trotzdem schockierte das Foto ihn aufs Neue.

 

Dort stand er vor dem Graffiti: »WO WAR GOTT«, in typischer Selfiehaltung.

 

Sein linker Arm war erhoben, als ob er jemanden umarmen würde. Doch dort war niemand zu sehen.

 

Aber der schlimmste Anblick war sein glückseliges Lächeln und das ganze Blut, das ihm über das Gesicht rann.

 

 

* * *

 

Kurze Zeit später klopfte es an der Tür. »Mr. Wayne? Hier ist Winni. Sie wollten mit mir reden«, erklang eine Frauenstimme.

 

»Kommen sie rein«, rief Taylor und versuchte sich aufrechter zu setzen.

 

»Hallo. Ich bin Winnie«, erklärte die Afroamerikanerin überflüssigerweise, nachdem sie die Tür hinter sich wieder geschlossen hatte.

 

Sie war klein, hatte krause, schulterlange Locken, Übergewicht und schien ein überbordendes Temperament zu besitzen, wie Taylor feststellen musste.

 

»Mr.Wayne. Ich hätte nie gedacht, dass ich in diesem Krankenhaus einmal einen so bekannten Patienten kennenlernen würde. Ich meine, ja das hier ist Hollywood, aber in dieser Klinik waren nie so bekannte Schauspieler wie sie. Klar, hier waren einige Typen, die schon kleinere Rollen in TV Serien hatten, aber kein echter Kinodarsteller. Ach Gott, ich habe sie geliebt als Peter Forster in »Die Suche«. Sie waren so süß. Ich meine, sicher, ihre spätere Rolle als Todt Thomas hat sie berühmt gemacht, aber als Peter fand ich sie viel besser. Und nun liegen sie hier und ...«

 

Taylor hustete kurz.

 

»Aber ich glaube, ich rede zu viel«, schloss Winnie ihre Litanei, die sie mit den Händen wie ein Dirigent untermalt hatte, ab.

 

Schmerzlich wurde ihm wieder einmal bewusst, dass die meisten Menschen ihn nur mit zwei Rollen in Verbindung brachten. Da war der jugendliche Draufgänger Peter Foster, der alle Mädchenherzen im Sturm erobert hatte, und die Rolle als Misanthrop Todt Thomas, der später zum Menschenfreund wurde. Aber seine Rollen danach, als es kontinuierlich mit seiner Karriere bergab ging, interessierten keinen mehr - und von einem Stern auf dem Hollywoodboulevard, konnte er nur träumen.

 

»Mr.Wanye?«, durchbrach Winnie seine Gedanken. Dabei hatte sie sich so über ihn gebeugt, dass ihre Haare in sein Gesicht fielen. Ihr Kruzifix, das sie an einer Kette um den Hals trug, baumelte vor seinem Gesichtsfeld.

 

»Ja also Miss ...?«

 

»Nennen sie mich einfach Winnie«

 

»Winnie. Was ich sie fragen wollte. Wer hat mich hierhin gebracht?«

 

»Oh Jesus!«, rief sie. Dabei fasste sie mit der rechten Hand ihr Kruzifix und hob die linke Hand nach oben. »Das war ein Wunder. Ein wahres Wunder!«

 

Taylors Befürchtung, dass sie gleich ein Gospel singen würde, bestätigte sich Gott sei Dank nicht.

 

»Ich meine, was würden sie sagen, wenn plötzlich Santa Clause vor ihnen stehen würde mit einem verletzten Mann auf den Armen.«

 

»Haben sie nicht gesehen, wie er zu Ihnen kam?«

 

»Nein. Ich saß hinter meiner Rezeption und war in Akten vertieft. Da bemerkte ich auf einmal dieses Licht, sah auf und bekam fast einen Herzschlag. Da stand Santa, lächelte mich an und legte sie auf dem Boden ab. Oh Jesus, wenn ich daran denke, bekomme ich immer noch Gänsehaut.«

 

Winnie schüttelte sich. Ihr war anzusehen, dass dieses Ereignis sie mitgenommen hatte.

 

»Hat dieser Mann etwas gesagt?«, hakte Taylor nach.

 

»Meinen sie Santa? Nein. Als ich hinter der Rezeption nach vorne lief, war er schon verschwunden. Das hab ich auch all meinen Kolleginnen und Kollegen erzählt, aber keiner, außer Susan, wollte mir glauben. Aber ich meine, wie sind sie sonst zu uns gekommen, mit diesen Verletzungen? Keiner hat sie reinkommen sehen und ich denk mir solche Geschichten bestimmt nicht aus.«

 

Da war sich Taylor allerdings nicht so sicher. Tiefe Gottgläubigkeit hatte bei den Betroffenen schon zu den haarsträubensten Visionen geführt. Trotzdem, das Ganze überstieg seinen Verstand.

 

»Jetzt muss ich aber gehen. Zuhause warten sie schon auf mich und meine Geschichte. Wenn sie wollen, kann ich ja nach den Feiertagen noch einmal bei ihnen vorbeischauen.«

 

Winnie strich behutsam über Taylors Hand.

 

Die Berührung war ihm nicht unangenehm, wie er überrascht feststellte. Normalerweise mochte er es nicht, von Fremden angefasst zu werden.

 

»Mr.Wayne, eine Bitte hätte ich noch«, erklärte Winnie im Rausgehen. »Wenn sie wieder einigermaßen auf den Beinen sind, kann ich dann ein Selfie mit ihnen machen?«

 

* * *

 

»Haben sie immer noch Dienst?«, fragte Taylor die Schwester, die ihm soeben das Abendessen brachte.

 

Susan stellte das Tablett auf die Ablage. »Ich hab gleich Feierabend, aber zuhause wartet sowieso keiner auf mich.«

 

»Wieso? Gibt es denn keine Verwandten, mit denen sie ein paar schöne Stunden an Weihnachten verbringen könnten?«

 

»Außer meinen Eltern nicht«, erklärte sie. »Meine Mutter ist zurzeit in Afrika und mein Vater, naja ... hab ihm schon ein frohes Fest gewünscht.«

 

»Schade, ich weiß, wie es ist, wenn man allein das Fest verbringen muss.« Taylor erinnerte sich an einige Feiertage, die er in diversen Bars zugebracht hatte.

 

Verdammt, er hasste Weihnachten!

 

»So schlimm ist es auch wieder nicht«, behauptete Susan. »Ich lese viel und meditiere gerne, wenn ich die Ruhe dazu habe.«

 

»Das wäre nichts für mich. Ich brauche immer Leute um mich herum und viel Action.«

 

Vom Flur her waren Schritte zu hören, die immer lauter wurden. Es klang, als würde eine Meute Footballspieler den Gang entlangstürmen.

 

»Taylor! Mein Gott! Du bist es wirklich!«, rief der kleine, untersetzte Mann, der soeben die Tür aufgerissen hatte. Drei Männer mit Fotokameras drängten sich an ihm vorbei.

 

»Da haben sie ihre Action«, kommentierte Susan Taylors letzte Aussage. »Aber nicht hier.«

 

Sie stellte sich mit ausgebreiteten Armen den Reportern entgegen. »Verlassen sie sofort dieses Zimmer, sonst rufe ich die Security!«

 

Taylor war beeindruckt von der schlanken, dunkelblonden Frau. Die Entschiedenheit, mir der sie sich den Paparazzi entgegenstellte, zeugte von großem Selbstbewusstsein.

 

Auch die Männer schienen zu spüren, dass mit Susan nicht zu Spaßen war, denn sie wichen langsam zurück.

 

»Joe kann hier bleiben«, bemerkte Taylor mit einem Grinsen, als er sah, dass die Reporter freiwillig wieder auf den Flur gingen.

 

Susan schloss die Tür hinter ihnen.

 

»Alle Achtung. Mein Respekt«, äußerte sich der kleine Mann mit der Halbglatze, gab ihr die Hand und stellte sich vor. »Joseph Mud. Aber nennen sie mich ruhig Joe. Ich bin der Manager von diesem Verrückten da.« Er zeigte auf Taylor, der dessen Aussage mit einem „Halt´s Maul Joe“, quittierte.

 

»Susan. Susan Shell«, erwiderte die Schwester. »Im ersten Moment dachte ich, sie wären Danny DeVito.«

 

»Ich weiß, sagen Viele. Ich hab ziemlich Ähnlichkeit mit ihm, bin mir aber nie darüber im Klaren, ob das von Vorteil, oder Nachteil ist.«

 

Der kleine Mann in seinem schwarzen Anzug grinste sie an, wurde aber schnell wieder ernst, als er seinen Blick auf Taylor lenkte.

 

»Nun zu dir. Wo zum Henker warst du die letzten Wochen? Und was ist mit dir passiert?«

 

Taylors Hoffnung, Joe würde ihm diese Fragen beantworten können, schmolz dahin.

 

»Bis morgen dann, Mr.Wayne«, unterbrach Susan und ging zur Tür.

 

»Einen Moment. Können sie die drei Herren vor der Tür mit zum Ausgang nehmen?«, forderte Taylor sie auf, begleitet von dem missbilligenden Grunzen seines Managers.

 

»Aber sicher«, lachte Susan. Sie öffnete, schob die wartenden Paparazzi zurück und schloss die Tür hinter sich zu. Nach einer kurzen, lautstarken Diskussion waren nur noch Schritte zu hören, die sich rasch entfernten.

 

»Hör mal, was soll das? Ich hab die Reporter extra informiert. Etwas Publicity kann uns nicht schaden.«

 

»Ist mir im Moment ziemlich scheißegal!«, stieß Taylor aus. »Woher weißt du eigentlich, dass ich hier bin?«

 

»Von Sharon. Das Krankenhaus hat sie angerufen.«

 

Natürlich. Hätte er sich auch denken können, dass dieses Miststück sich nicht selbst blicken lässt. Dabei hatte es im Oktober so ausgesehen, als ob er wieder mit seiner Exfrau zusammen kommen könnte.

 

»Okay. Der Deal mit Sony Pictures ist natürlich geplatzt, weil keiner wusste, wo du warst.« Typisch Joe, ihm ging es immer nur ums Geld.

 

»Hör mal, ich lieg hier mit etlichen Verletzungen und einem gebrochenen Bein, weiß selbst nicht, was in den letzten Wochen vorgefallen ist und du machst mir Vorwürfe wegen dieser geplatzten Rolle?«

 

»Langsam, langsam«, erwiderte Joe. »Dein Bein ist gebrochen und du weißt nicht, wo du die letzten Wochen warst? Aber du hast mir doch von deinem Smartphone aus Nachrichten geschickt, ich soll mir keine Sorgen machen, du bräuchtest nur eine Auszeit.«

 

Taylor versuchte, das fehlende Stück der Erinnerung, aus dem Nebel seiner Gedanken ins Bewusstsein zu reißen. Doch es gelang ihm nicht.

 

»Keine Ahnung, wovon du sprichst. Filmriss«, erklärte er. »Hab ich in diesen Nachrichten nicht geschrieben, wo ich mich aufhalte?«

 

»Du meine Güte«, rief Joe, hob die Arme und blickte theatralisch an die Decke. »Wenn du das gemacht hättest, meinst du ich wäre nicht sofort zu dir gekommen?«

 

Joe hatte recht. Er wäre der Erste gewesen, der ihn zurückgeholt hätte.

 

»Aber deine Aussagen waren so belanglos, dass ich keine Rückschlüsse auf deinen Aufenthaltsort ziehen konnte«, fuhr er fort. Dabei lief er im Zimmer herum und spielte mit seiner Krawatte, wie er es immer tat, wenn er aufgeregt war.

 

Taylors Blick ging zum Nachtschrank. Soll ich ihm von dem Traum und dem Selfie erzählen?

 

So schnell, wie ihm dieser Gedanke gekommen war, so schnell verwarf er ihn wieder. Erst musste er sich selbst sortieren und seine nächsten Schritte überlegen. Außerdem kamen die Schmerzen zurück.

 

»Lass gut sein, Joe. Ich brauch jetzt Ruhe. Wünsch deiner Familie von mir frohe Feiertage und verschwinde.«

 

»Na gut. Dann bis die Tage«, antwortete der Manager kurz angebunden, zog seine Krawatte gerade und knöpfte das Jackett zu.

 

Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, verließ er das Zimmer.

 

Zuviel Unerklärliches, viel zu viel. Und das an Weihnachten.

 

Er hasste Weihnachten.

 

 

 

 

Kapitel 2

 

 

 

Die Gedanken an diesen merkwürdigen Arbeitstag beschäftigten sie immer noch, nachdem sie ihr Einzimmerappartement in einem Vorort von Los Angeles betreten hatte.

 

Normalerweise tauchte sie spätestens nach einer ausgiebigen Dusche in ihre eigene Welt ein, aber heute gelang ihr auch das nicht. Zu aufwühlend war die Begegnung mit Taylor Wayne gewesen.

 

Sicher, sie hatte sich nichts anmerken lassen; ja sogar die starke Rausschmeißerin gespielt. Wie es aber wirklich in ihr aussah, konnte sie gut überspielen.

 

Susan zog sich ihren flauschigen, rosa Bademantel über und ging die zwei Schritte von der Dusche zur Küchenzeile. Vorrat hortete sie nicht, da sie meistens im Krankenhaus ihre Mahlzeiten zu sich nahm. Doch ein Glas Milch und einen Müsliriegel, gab ihr fast leerer Kühlschrank noch her.

 

Sie setzte sich aufs Bett und kaute lustlos auf dem Riegel.

 

Es war nichts Ungewöhnliches für sie auf einen Hollywoodstar zu treffen. Durch ihren Vater, den bekannten Schönheitschirurgen, hatte sie schon einige kennenlernen dürfen. Auch die Tatsache, dass Taylor Wayne ein Frauenschwarm war, jedenfalls bis sein Absturz vor einigen Jahren begonnen hatte, hatte sie nicht aus der Fassung gebracht. Etwas anderes beschäftigte sie.

 

Ich muss meine Gedanken zur Ruhe bringen!

 

Entschlossen stand sie auf und ging zu dem niedrigen, länglichen Tisch an der Wand. Auf dem Tisch standen einige Statuetten, Klangschalen, Ständer mit Räucherkerzen und eine kleine Stereoanlage. Über dem Tisch hing ein großes, rotes Mandala.

 

Nachdem Susan einige Räucherkerzen angezündet, die CD eingelegt und das Licht gedimmt hatte, setzte sie sich auf ihr Meditationskissen. Hier hatte einmal ein Sofa gestanden. Gegenüber, wo jetzt das Mandala hing, befand sich früher ein Fernseher.

 

Sanft und leise schwebten die Töne der Musikanlage durch den Raum, vermischten sich mit dem harzigen Duft der Räucherkerzen.

 

Susan merkte, wie sie innerlich ruhiger wurde.

 

Sie schloss die Augen, atmete bewusst ein und aus. Aber es wollte ihr nicht gelingen, die Erinnerungen an den Traum von letzter Nacht und die Geschehnisse von heute, ziehen zu lassen.

 

Nach einer halben Stunde gab sie auf. Erzwingen ließ sich nichts.

 

An Abenden wie diesen bereute sie es, den Fernseher verschenkt zu haben. Um sich etwas abzulenken, setzte sie sich an ihren Schreibtisch in der Ecke und schaltete das Notebook ein.

 

Von ihren Kontakten war niemand online. Was hatte sie erwartet an Weihnachten?

 

Die Idee ihren Vater anzurufen verwarf sie schnell wieder. Ihre Mutter, die in Afrika für eine Mission arbeitete, konnte sie im Moment nicht erreichen.

 

So sah sie sich einige Seiten über Traumdeutung an, bis die Müdigkeit ihr die Augen zufallen ließ und sie sich ins Bett legte.

 

Ihr Wunsch nach einem traumlosen Schlaf erfüllte sich jedoch nicht.

 

* * *

 

Der Schnee knirschte.

 

Endlose Weite.

 

Weiß, überall Weiß.

 

Der einzige Farbtupfer war ihr Bademantel.

 

Sie war nicht verwundert darüber, dass sich der Schnee unter ihren nackten Füßen warm anfühlte.

 

Sie war auch nicht erstaunt über die leise Musik, die erklang, und den süßlichen Geruch, der durch die weiße Einöde zog.

 

Langsam setzte Schneefall ein.

 

Wohin Susan auch ging, die Szenerie veränderte sich nicht, nur die Schneeflocken wurden immer mehr und dicker.

 

Aus der Ferne hörte sie das typische Hupen eines Trucks.

 

Sie blieb stehen und lauschte.

 

Das Hupen näherte sich ihrem Standort.

 

Die Flocken fielen jetzt so heftig, dass sie ihre Hand vor den Augen nicht mehr sah.

 

Die Erde vibrierte, der Truck musste in ihrer Nähe sein.

 

Angestrengt starrte sie durch die Schneewand, die plötzlich verschwand und die Sicht auf den Truck freigab.

 

Mit seinen blinkenden Lichtern sah er auf den ersten Blick so aus, wie der Weihnachtstruck einer bekannten Softdrinkmarke.

 

Doch statt eines Werbespruches oder dem Markenlogo, stand eine Frage in großen, roten Buchstaben auf der Seite des Trucks.

 

»WO WAR GOTT?«

 

Bevor sie sich darüber Gedanken machen konnte, ging die Fahrertür auf.

 

Santa Clause stieg aus dem Truck und kam langsam auf sie zu. Die rote Mütze und der lange, weiße Bart ließen nur die Augen erkennen. Aber diese Augen kamen ihr bekannt vor.

 

Sie erinnerte sich daran, wie sie Santa als Kind demaskiert hatte.

 

Ohne lange nachzudenken, zog sie an seinem Bart.

 

In dem Moment, als sie den falschen Bart in den Händen hielt, löste sich Santas Mütze auf und sie blickte in ein wohlbekanntes Gesicht.

 

»Tatanka«, hauchte Susan.

* * *

4.30 Uhr, zeigte die Digitalanzeige ihres Weckers.

 

Noch zwei Stunden bis zum Aufstehen. Doch an Weiterschlafen war nicht zu denken.

 

Innerlich aufgewühlt kochte Susan sich einen Tee. Sie versuchte, die Träume von letzter und vorletzter Nacht in Zusammenhang zu bringen.

 

Nachdem sie sich auf das Meditationskissen gesetzt und einige Schlucke von dem nach Vanille duftenden Tee getrunken hatte, beruhigte sich das Wirbeln ihrer Gedanken.

 

Ihre Träume hatten sich schon oft als bedeutend herausgestellt, aber sie waren bei Weitem nicht so intensiv wie die zwei Vergangenen.

 

Sie rief sich den Traum, den sie in der Nacht hatte, bevor Taylor Wayne eingeliefert wurde, ins Gedächtnis.

 

Auch hier hatte sie auf einer schneebedeckten Ebene gestanden. Mit dem Unterschied, dass sie keinen Bademantel anhatte, sondern mit einem langen Mantel, einer Mütze und einem weißen Bart als Santa Clause verkleidet, auf einen Spiegel zulief. Der ovale Spiegel schwebte über dem Boden. Neben ihm stand Tatanka.

 

»Sieh her«, sagte der alte Indianer in ihrem Traum. Er zog an dem Bart, der sich sofort darauf mitsamt der Mütze auflöste. Für einige Sekunden sah sie ihr Gesicht, das sich aber schnell veränderte. Stattdessen zeigte der Spiegel jetzt das Gesicht eines Mannes in ihrem Alter mit bronzefarbener Haut, schwarzen, kurzgeschnittenen Haaren und einem Dreitagebart am Kinn.

 

Als sie morgens aufgewacht war, kam ihr das Gesicht aus ihrem Traum zwar bekannt vor, aber sie konnte es nicht einordnen. Erst in Lauf des Vormittags, als sie von Winnie die Geschichte mit Taylor erzählt bekam, wusste sie, wen sie da gesehen hatte.

 

Zufall? Fragte sie skeptisch, gab sich direkt selbst die Antwort: Es gibt keine Zufälle.

 

Irgendeine Bedeutung mussten die Träume haben. Sowohl für sie, als auch für Taylor.

 

Und noch jemand war in beiden Träumen präsent.

 

Tatanka, der alte Indianer. Ihr Freund und Mentor.

 

Kurz überlegte sie ihn anzurufen. Doch dann fiel ihr wieder ein, dass er zwischen Weihnachten und Neujahr bei Verwandten war. Bei diesen Besuchen schaltete er prinzipiell sein Handy aus.

 

Gestern hatte sie noch davor zurückgeschreckt, aber jetzt sah sie ein, dass ihr kein anderer Weg blieb: Sie würde mit Taylor über ihre Träume reden müssen.

* * *

 

Sie stand vor der Tür und zögerte.

 

Hoffentlich bekam er nicht einen falschen Eindruck von ihr, würde sie für eine Spinnerin halten.

 

Wie gestern versuchte sie ihre Aufregung zu unterdrücken, holte tief Luft und drückte die Klinke runter.

 

Im Zimmer hatte sich nichts verändert. Keine Blumen, keine Luftballons oder Ähnliches. Ein tristes, kaltes Krankenhauszimmer.

 

Der Flachbildschirm an der Wand spielte die Nachrichten ab.

 

»Hallo Mr. Wayne. Wie geht es ihnen?«

 

Taylor sah zur Tür, nahm die Fernbedienung und schaltete den Apparat aus.

 

»Hallo Schwester Susan, ich dachte schon sie kommen nicht mehr«, erklärte er.

 

»Ich bin heute auf einer anderen Station eingeteilt. Hab gerade Pause und wollte mal nach ihnen sehen.«

 

»Setzen sie sich«, forderte Taylor sie auf. »Wie sie sehen, bekomme ich nicht viel Besuch.«

 

Susan schob einen Stuhl an sein Bett und setzte sich.

 

»Von den Reportern war auch keiner mehr bei ihnen?«

 

»Natürlich nicht. Bei den Medien bin ich doch so unten durch, dass sich kaum einer mehr freiwillig mit mir abgeben will.«

 

Wage erinnerte sich Susan an einige unschöne Presseberichte über Taylors aggressivem Verhalten gegenüber seiner Exfrau und den Reportern.

 

»Gestern die drei Vögel waren doch nur da«, fuhr er fort, »weil Joe ihnen zusätzlich Geld versprochen hatte, wenn sie von meinem Unglück berichten würden.«

 

»Er hat es doch bestimmt nur gut gemeint«, verteidigte sie seinen Manager, obwohl sie gestern gespürt hatte, dass Joe nicht immer das Beste für Taylor im Sinn hatte.

 

»Ja, klar«, lautete seine lapidare Antwort. »Warum sie sich allerdings so um mich sorgen, ist mir ein Rätsel. Nicht das ich etwas gegen die Anwesenheit einer schönen Frau hätte, aber ich habe da schon einige Enttäuschungen erlebt.«

 

»Um eins klarzustellen - ich habe nicht vor mich an sie heranzuschmeißen.« Ihre Gefühle für Taylor schwankten zwischen Sympathie und Antipathie.

 

Vielleicht sollte ich alles Vergessen und gehen, dachte sie.

 

»Okay. Ist ja schon gut. Nicht so empfindlich. Ich will nur wissen, was sie von einem verkorksten, verkrüppelten Filmschauspieler wie mir wollen.«

 

»Ich will gar nichts. Ich möchte nur von zwei Träumen erzählen, die mit ihnen zu tun haben. Danach verschwinde ich und sie können mit ihrem Unglück glücklich werden«, erwiderte sie, heftiger als beabsichtigt.

 

Taylor sah sie überrascht an und zupfte nervös an seiner Bettdecke. »Erzählen sie.«

 

Ihre Befürchtung, er würde sie für eine Verrückte halten, bewahrheitete sich nicht. Stattdessen bemerkte sie bei sich ein Gefühl, das sie nur zu gut kannte. Die mitleidende Susan, hatte ihr Vater sie immer wieder zynisch genannt.

 

»Na los. Erzählen sie mir schon von diesen Träumen«, riss Taylor sie aus ihren Gedanken.

 

Während Susan ihm von den Träumen erzählte und immer ruhiger wurde, nahm seine Nervosität zu.

 

Auch ohne die Überwachungsmonitore, die inzwischen abgebaut waren, nahm sie seinen erhöhten Herzschlag wahr, während sie ihm von den Träumen erzählte.

 

»So. Was sie jetzt damit anfangen, ist ihre Sache«, sagte sie abschließend.

 

Susan stand auf und wollte den Stuhl wieder wegstellen.

 

»Moment.« Taylor packte sie am Arm. »Erst muss ich ihnen von meinem Traum erzählen.«

 

Susan bemerkte die Wärme, die von seinem Griff ausging. Sie sah ihm ins Gesicht. Angst und Anspannung zeichneten sich ab.

 

»Sie hatten auch einen Traum?«

 

»Nicht nur das«, bestätigte Taylor. „Da ist noch etwas Seltsames.“

* * *

Susan schwieg, nachdem Taylor geendet hatte.

 

Sie starrte ihn an, sah durch ihn hindurch. Vor ihrem geistigen Auge verwandelte er sich in Santa, dann in Tatanka, um schließlich ihre Gesichtszüge anzunehmen.

 

»Sagen sie schon etwas«, flehte Taylor. »Was halten sie davon?«

 

»Ich weiß nicht«, antwortete sie zaghaft. »Auf jeden Fall muss es eine Verbindung geben.«

 

»Ich glaube ich werde verrückt.« Er schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht an so einen übersinnlichen Hokuspokus.«

 

»Aber es ist Tatsache, dass in ihrem, sowie in meinem Traum, dieselben Dinge vorkamen«, erinnerte sie ihn. »Da ist zuerst der Schnee, dann Santa - wobei von dem im Moment bestimmt viele träumen. Aber die auffallendste Gemeinsamkeit ist doch der Spruch: WO WAR GOTT? Das kann kein Zufall sein.«

 

»In meinem Traum kam aber kein Indianer vor. Wie heißt er noch mal?«, entgegnete Taylor.

 

»Er nennt sich Tatanka. Eigentlich heißt er Mark River, Freund meiner Familie, Schamane und mein spiritueller Mentor.«

 

»Na gut. Aber was hat er mit mir zu tun?«

 

Die gleiche Frage hatte sie sich auch schon gestellt. »Ich weiß es nicht. Kann ihn erst im neuen Jahr erreichen.«

 

Plötzlich fiel ihr seine Bemerkung von vorhin wieder ein. »Sie hatten angedeutet, dass es außer dem Traum noch eine Merkwürdigkeit gibt, die sie beschäftigt. Sagen sie mir was?«

 

Taylor schaute ihr in die Augen. Sie sah darin seine Angst vor etwas Unerklärlichem.

 

Zögernd steckte er die Hand nach der Schublade des Nachtischs aus, öffnete sie und nahm sein Smartphone heraus.

 

Nach mehrmaligem Tippen drehte er das Display langsam in ihre Richtung. »Sehen sie. Das Selfie.«

 

Susan blickte ihn verwundert an.

 

»Da ist nichts«, behauptete sie.

 

 

 

ENDE der Leseprobe