Mord am Märchen


Und nun spielt ihnen der Südwestfunk den Schlager dieses Sommers. Die kleine Cornelia Froboess mit dem Lied: Pack die Badehose ein.“

Das Lied von der Kleinen gefällt mir. Ich drehe am Lautstärkeknopf des Volksempfängers und ein Blick durch das Fenster meines Wohnwagens zeigt mir die aufgehende Sommersonne über den Kuhweiden. Normalerweise schlafe ich immer länger, aber die Gedanken an Maria, rauben mir den Schlaf.

Wir gastieren seit zwei Wochen mit unserem Zirkus in Strohn und man hätte jeden Tag seine Badehose einpacken können. Doch die täglichen Vorstellungen machen einen längeren Badeausflug unmöglich. Dabei liegt das Pulvermaar mit seinem kühlen Wasser so nahe.

Während die kleine Conni ihr Lied im Radio singt, träume ich von Maria und mir, dem Zauberer Bordoni, beim nächtlichen Nacktbaden.

Alles könnte so schön sein, wäre da nicht Karl, Marias Ehemann. Seit diesem Frühjahr treten Karl und Maria in unserem Zirkus auf. Der Muskelprotz mit seiner Eisenverbiegenummer und die schöne Tänzerin mit ihrem Tanz der sieben Schleier. Eigentlich reine Varieténummern, aber auch sechs Jahre nach Kriegsende herrscht immer noch ein Mangel an Zirkusattraktionen und der Bedarf an Zerstreuung ist groß in der Bevölkerung.

Karl ist nicht der richtige Mann für Maria; eine Künstlerin und ein Muskelprotz. Ich hasse diesen groben Kerl.

Ich konnte meine Zuneigung für Maria nicht lange verbergen.

Ihre lockigen, langen Haare; der Lavendelduft ihres Halses. Alles an ihr machte mich rasend vor Liebe.

Am Anfang hat sie sich noch gegen ihre Gefühle für mich gewehrt, doch dann fielen wir immer wieder in einen wundervollen Liebesrausch.

Wenn Karl davon erfährt, wird er uns in der Luft zerreisen.

Die Lösung des Problems liegt vor mir auf dem Tisch. Eine 13 cm hohe Büchse: Schrapnellmine 35. Ich weiß nicht, wie viele ich von diesen Dingern im Krieg verlegt habe; es werden bestimmt Hunderte gewesen sein. Dieses Schätzchen hier konnte ich damals bei der Entwaffnung an den Alliierten vorbeischmuggeln. Behutsam stecke ich mir die tödliche Blechbüchse und den Klappspaten in den Rucksack und mache mich auf den Weg.

Nach kurzer Zeit treffe ich auf Maria mit ihrem Hund, nehme sie in den Arm und drücke sie an mich. Trotz der jetzt schon wärmenden Sonne fühlt sie sich kalt an.

Ist alles bereit für heute Nachmittag?“, frage ich sie und lasse meine Hand über ihre Kurven wandern.

Obwohl sie weiß, wie sehr ich ihren Körper begehre, windet sie sich aus meiner Umarmung.

Natürlich“, antwortet Maria und rückt sich ihr Halstuch gerade. Nicht dass sie eines gebraucht hätte, bei den Temperaturen, aber das Halstuch verdeckt die Folgen unseres gestrigen Liebesspiels zwischen den Zirkuswagen. Mein Verlangen wird eben immer heftiger und da sind verräterische Flecken nicht auszuschließen. Auch jetzt kämpfe ich mit meiner Beherrschung, aber die Zeit läuft mir davon. Ohne ein noch ein Wort zu verlieren, gehe ich weiter.

Der steinige Weg führt mich zum Strohner Märchen. Ein kleines Maar, das, im Gegensatz zum Pulvermaar, kein Wasser in seinem Krater mehr führt, sondern in dem sich ein Hochmoor gebildet hat. Alles Relikte aus den längst vergangenen Zeiten der Vulkanausbrüche in der Eifel.

Wie ein Vulkanausbruch wird auch die Explosion der Mine sein. 365 kleine Stahlkugeln und Splitter, die sich in einem Radius von 100 m mit Brachialgewalt verstreuen; ein Mordszauber.

An der verabredeten Stelle im Wald, der das Strohner Märchen umgibt, grabe ich die Büchse ein.

Zirkusstar trat auf alte Mine“, wird wohl in der Zeitung stehen. Tödliche Unfälle mit altem Kriegsmaterial gibt es leider immer wieder.

Endlich wird sich mein Problem mit Karl erledigen.

Erleichtert und voller Vorfreude auf den heutigen Abend mit Maria, gehe ich zurück zum Zirkus und bereite mich auf die Probe heute Nachmittag um drei Uhr vor.

Die Arena füllt sich mit übenden Artisten. Langsam werde ich ungeduldig. Karl müsste doch längst gemerkt haben, dass seine Frau noch nicht da ist.

Endlich schaut er auf seine Armbanduhr und quetscht einen Satz über seine wulstigen Lippen. „Es ist schon Viertel nach drei. Maria ist seit fünfzehn Minuten überfällig.“

Die Stimme des Muskelmanns klingt doch tatsächlich so, als würde er sich Sorgen um seine Frau machen.

Ich versuche gleichgültig zu wirken.

Vielleicht ist sie noch mit dem Hund spazieren, wie immer vor dem Training.“

Aber sie war noch nie so lange unterwegs. Und hat auch noch nie eine Probe verpasst.“

Fast habe ich Mitleid mit dem Riesenbaby, so rührend sorgt er sich um seine Frau.

Vielleicht sollten wir sie suchen“, meine ich.

Zusammen mit Karl verlasse ich die Zirkusarena und wir machen uns auf die Suche nach Maria. Nach einiger Zeit erreichen wir die Weggabelung.

Am Besten wir trennen uns. Du gehst nach rechts und ich nach links weiter“.

Ohne lange zu überlegen, geht Karl auf meinen Vorschlag ein. Das Schicksal kann seinen Lauf nehmen.

Meine Schritte werden schneller. Ich will die alte Eiche in wenigen Minuten erreichen und Maria in die Arme schließen. Nach meinem Plan müsste sie schon dort sein und Karl wird, am anderen Ende des Waldes, von Weitem ihr Halstuch entdecken, das Maria direkt hinter die Mine gelegt hat.

Er wird das Tuch aufheben, dabei auf die Mine treten und ... Maria hat hoffentlich den Sicherungsbolzen der Mine entfernt und sie scharfgemacht, so wie ich es ihr gezeigt habe.

Jetzt kann ich unseren Treffpunkt an der alten Eiche schon sehen, doch Maria ist noch nicht da. Vielleicht ist sie noch ein Stück weiter mit dem Hund gegangen.

Ich werde einfach auf sie warten.

 

Erwartungsvoll und zugleich von ihrer eigenen Kaltblütigkeit entsetzt, geht Maria mit dem Hund an der Leine über den weichen Waldboden. Endlich wird sie das Scheusal los, das sie so oft mit brutaler Gewalt zum Sex gezwungen hat. Dabei hat er noch gemeint, es wäre Liebe. Vor Scham hat sie nie mit jemand darüber reden können, doch gleich findet die Erniedrigung ein Ende.

Eine laute Explosion lässt die Luft erzittern, der Hund bellt aufgeregt und Marias Herz klopft bis zum Hals. Endlich sieht sie ihren Geliebten hinter den Bäumen hervorkommen, läuft ihm entgegen und wirft sich in seinen starken Arm.

Was war das für ein Knall?“, fragt Karl überrascht und gibt seiner Frau einen Kuss.

Ich hab keine Ahnung“, antwortet Maria, rückt ihr Halstuch wieder gerade und zittert am ganzen Leib.

Es war gar nicht so einfach für sie die Mine wieder auszugraben und an der alten Eiche neu zu platzieren.

 

ENDE